Überall
auf Bali finden sich größere und kleinere Tempelanlagen, in denen häufig
Zeremonien und Opferungen durchgeführt werden.
Zu purnama, am Tage des Vollmonds, ziehen die Einheimischen in ihren bunten
Sarongs und Kebayas zu ihrem Dorftempel, wo sie beten und ihre Opferhandlungen
durchführen. Viele dieser Tempelanlagen auf Bali gelten als ganz besonders
heilig, als spirituelle Orte der Kraft, die zu gewissen Feiertagen von
Hunderttausenden Pilgern aufgesucht werden.
Jedes balinesische Haus
verfügt über mindestens einen Haustempel, an dem die weiblichen Mitglieder der
Familie mehrmals täglich Opferhandlungen vornehmen. Geopfert wird auf Bali
nicht nur den zahlreichen Göttern des balinesisch-hinduistischen Pantheons,
sondern auch den Kräften und Mächten der Finsternis - den Dämonen. Der
Tempel Pura Ulu Danau ist Dewi Danau, der Göttin der Gewässer geweiht...
Ziel des balinesischen
Hinduismus ist es nicht, das Gute zu fördern und das Böse zu bekämpfen,
sondern vielmehr, einen Ausgleich zwischen beiden Polen anzustreben.
Der Balinese
weiß, dass es sich
bei Gut und Böse, Tag und Nacht, Mann und Frau etc. um bloße Polaritäten
handelt, deren Pole sich wechselseitig in ihrer Existenz bedingen. Die
zwischen diesen Polen aufrecht erhaltene Spannung und der zwischen ihnen
permanent bestehende Energiefluss konstituieren dem Balinesen jene Dimension
des Seins, die wir irrtümlicherweise mit 'Wirklichkeit' bezeichnen. Jeder
Hindu weiß, dass mit dieser Bezeichnung bloß die größte aller Illusionen
des Menschen benannt ist, denn die wahre Realität des Seins ist hinter dem
Schleier der Maya verborgen.
Der Balinese weiß überdies, dass jenes dynamische Gleichgewicht zwischen den
Polen einer Polarität aufrecht erhalten werden muss, um Harmonie zu bewirken.
Wird dieses Prinzip der Balance missachtet, dann muss ein daraus
resultierendes Ungleichgewicht notwendig über einen radikalen, katharsischen
Akt der Selbstreinigung ausgeglichen werden, der für den Menschen stets mit
Leid, Disharmonie und Unglück verbunden ist. Deshalb gilt dem Balinesen in
allen Lebensbereichen das Aufrechterhalten bzw. das Wiederherstellen der
Balance als die oberste Maxime seiner Spiritualität.
Es ist naheliegend, dass die
Balinesen auch die meisten Krankheiten aus dieser Perspektive beurteilen.
Krankheit wird auf Bali fast immer als das Produkt eines Zustandes der
Disharmonie zwischen dem Betroffenen und seiner Umwelt betrachtet. In diesem
Sinne unterscheidet sich eine Krankheit kaum von anderen Unglücksfällen: von
einem Unfall, einem Ernteausfall, dem Tod eines Familienmitgliedes, dem
Verlust des Arbeitsplatzes etc.
Wann immer ein derartiger Unglücksfall eintritt, wird ein davon betroffener
Balinese annehmen, dass er etwas Unangemessenes getan, oder etwas Angemessenes
unterlassen hätte. Vielleicht hat er eine gesetzliche, religiöse oder eine
sittliche Norm verletzt, vielleicht seine Position missbraucht, oder er war
vielleicht nicht respektvoll gegenüber einer bestimmten Gottheit…
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