Himmelsrichtungen haben magische
Kräfte auf Bali. Die Kaja/Kelod-Achse,
die heilige und profane Achse der Balinesen, steuert alles auf der Insel. Farben
und Zahlen werden stets berücksichtigt.
Worte und Silben sind nicht nur
Träger von Botschaften, sondern auch Verkörperungen mystischer Kräfte und
das nicht nur in Form von Mantras, sondern auch für sich selbst. Bücher,
insbesondere die Lontars, haben mystische Kraft.
Sogar Geräusche besitzen
Kraft, nicht nur musikalische Melodien, sondern auch gewisse Silben, wie die
mystischen und kraftvollen Silben ANG, UNG, und MANG, welche kombiniert
OM
hervorbringen.
Ein Gleiches gilt für die Tage der Woche, Monate und Jahre.
Plätze, wie die Tempel, Friedhöfe, Märkte, Verbrennungsstätten, Berge,
Seen und Flüsse besitzen eine spezielle Art mystischer Kraft und nur ganz
bestimmte Tätigkeiten können an solchen Orten in Sicherheit durchgeführt
werden.
Sogar Autos und Mopeds haben mystische Kraft. Ein vorsichtiger Fahrer
wird jeden Tag eine kleine Opfergabe in sein Auto legen oder an seinem Moped
befestigen, bevor er es zweckentsprechend benützt.
Die
Balinesen sind nicht paranoid hinsichtlich der Gefahren in unserer Welt, aber
sie sind sich derer zu jeder Zeit bewusst - zum Zwecke ihres eigenen Schutzes.
Diese magischen Kräfte sind zu jeder Zeit um sie herum anwesend und man kann
nicht sagen, wann und wo sie eine Schwachstelle durchdringen und Probleme
verursachen werden. Das Ergebnis dieses Denkens ist, dass von den
Inselbewohnern tagtäglich Opferungen für fast alles Vorstellbare dargebracht
werden.
Dieses Denkschema folgt nicht der Aristotelischen Logik, daher
können auf Bali manchmal Opfergaben für einen bestimmten Ring gleichzeitig
auch eine bestimmte Krankheit heilen. Opferungen, die für einen Gong gemacht
wurden, können einem Baby dabei helfen, sprechen zu lernen. Und das Klettern
auf einem Baum an einem ganz bestimmten Tag, wird nach diesem Denken
höchstwahrscheinlich zu einem Unfall führen…
Nach(denk)bemerkung des Autors
Diese Art
'Logik' war und ist auch dem Westen nicht gänzlich fremd, obzwar sie dort
seit der Zeit der Aufklärung schwer in Misskredit gebracht wird.
Die Abwertung bestimmter Weltbilder - auch schamanistischer und magischer -
und die Bekämpfung von Denkschemata, die von der 'Norm' abweichen, erfolgt im
Westen entweder aus Gründen der Staatsräson, oder aufgrund religions- und
wissenschaftspolitischer Interessenslagen.
Der vorherrschende Wille zur Macht in der westlichen Kultur
bestimmt bis auf den heutigen Tage über Akzeptanz, Toleranz oder Ablehnung
bestimmter Weltbilder. Und dieser kulturell bedingte Dominanzanspruch rät im
Westen zu
bestimmten Zeiten zur Repression Andersdenkender und ruft bisweilen sogar zu
deren strafgerichtlicher Verfolgung auf…
Demgegenüber kann und darf man auf der kleinen Schamaneninsel
Bali am anderen Ende der Welt gleichzeitig beides sein: tot und nicht tot.
Vor kurzem wurde hier ein Mann durch einen Unfall "getötet".
Einige Tage später versammelten sich die Männer des Dorfes, um den Körper
zu waschen und zum Zwecke der Verbrennung zum Friedhof zu tragen. Es ist
Brauchtum, dass nach der Leichenwäsche verschiedene Objekte auf den Körper
des 'Toten' gelegt werden, welche diesen für die nächste Inkarnation fit
machen sollen: Stahl auf die Zähne, um sie stark zu machen; Spiegelchen auf
die Augen, um sie strahlend zu machen; ein Blatt des Intaran-Baumes auf jede
Augenbraue, um sie attraktiv zu machen usw.
Als nun diese Tätigkeiten beendet waren,
wandte sich einer dieser Männer an mich und erklärte mir, dass nun erst jene
Person wirklich tot wäre.
Das würde aber doch bedeuten, dass der
Verunglückte bis zum Abschluss jenes eigenartigen Rituals - zumindest nach
balinesischer Sichtweise - noch 'gelebt' haben müsste…
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