Es war Ken Wilber,
der jene
faszinierende Theorie aufgestellt hat, welche uns die Möglichkeit eröffnet, eine
gewisse Ordnung sowie Bedeutung in die verwirrende Erfahrungswelt
spiritueller Traditionen zu bringen.
Wilber zeigt, dass sich hinter
unterschiedlichen Erfahrungen, Namen und Deutungen innerhalb spiritueller Traditionen Gemeinsamkeiten verbergen, welche eine
Systematisierung spiritueller Erfahrungen ermöglichen. Sollten sich dessen Annahmen
bestätigen, dann wäre die Bewusstseinsforschung ein gutes Stück weiter
gekommen.
Wilber legt seiner Theorie
folgende Annahmen zugrunde
1.
Veränderte Bewusstseinszustände und die Stadien
transpersonaler Entwicklung können nach der Art der jeweils gemachten
Erfahrungen zu Gruppen zusammen gefasst werden, zumal bestimmte Erfahrungen
eine ‚verbindende Tiefenstruktur’ aufweisen.
Die Tiefenstruktur
einer Familie von gegebenen Erfahrungen bildet das formale Grundgefüge, das ihnen
gemeinsam unterliegt und sie prägt. Eine Analogie dazu bilden die Gesichter
der Menschen. Trotz unterschiedlichem Aussehen weisen deren Gesichter eine gemeinsame, verbindende Tiefenstruktur auf.
Diese besteht aus zwei Augen, einer
Nase, einem Mund und zwei Ohren. Diese Tiefenstruktur vermag
Milliarden unterschiedlicher Gesichter hervor zu bringen. Obwohl
sich das Antlitz der Menschen in so vielfältiger Weise von einander
unterscheidet, ist es uns möglich, beinahe jeden Menschen von jedem
anderen zu unterscheiden.
2. Das breite Spektrum spiritueller Traditionen und Erfahrungen
basiert auf einer endlichen Anzahl erkennbarer Tiefenstrukturen.
So liegt z.B. hinter
dem buddhistischen Nirvana, dem hinduistischen nirvi-kalpa-samadhi
und dem Abgrund der christlichen Gnostiker laut Wilber ein und
dieselbe Tiefenstruktur – ein Zustand formlosen, objektlosen Bewusstseins.
Wenn der christliche Mystiker Engel und der Schamane 'Spirits' sieht, dann sehen
beide geistige, nicht-körperliche Entitäten. Wenn der Buddhist in der
Meditation Nirvana und der Hindu das nirvi-kalpa-samadhi erreicht hat,
so haben sie beide einen Zustand erreicht, in dem keine Gedanken, Bilder und
Erfahrungen mehr ins Bewusstsein dringen; nur reines Bewusstsein ist bei
beiden vorhanden – sonst nichts.
3. Die Tiefenstrukturen treten bei jeder spirituellen Praxis in
einer festen, kulturübergreifenden Reihenfolge in Erscheinung. Diese
Reihenfolge ist aber in unterschiedlichen spirituellen Traditionen und Praktiken
aller Kulturen die gleiche.
Aus der
Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass sich
bestimmte Stadien und Fähigkeiten des Menschen später ausbilden als andere und dass dabei
eine feste Reihenfolge eingehalten wird. Das abstrakte Denken bildet sich in
unserem
Leben später aus als weniger differenzierte Denkformen.
4. Unabhängig von der kulturspezifischen Praxis, ist zu
erwarten, dass bestimmte Tiefenstrukturen transpersonaler
Bewusstseinszustände und die damit korrespondierenden spirituellen
Erfahrungen vor anderen auftreten.
Ähnliche
Entwicklungsstadien und Reihefolgen wie in Punkt 3. könnten auch bei der
Entwicklung von veränderten Bewusstseinszuständen gegeben sein. Dafür spricht, dass in
unterschiedlichen Traditionen feste Abfolgen von Zuständen beschrieben
werden, wie z.B. die Samadhis im Yoga und die Stadien der Einsichtsmeditation
im Buddhismus. Diese und andere Traditionen behaupten, dass ihre Praktiken eine
Konstellation von Bewusstseinszuständen induzieren würden, die in einer festen
Reihenfolge nacheinander erscheinen, wobei die späteren Stadien jeweils als
profunder, höher entwickelt und wertvoller angesehen werden als die
früheren.
Wilber fasst die
transpersonalen Bewusstseinszustände in drei
Hauptgruppen zusammen. Er nennt diese Gruppen entsprechend der Reihenfolge
ihres Auftretens, subtil, kausal und absolut.
Mit diesen drei
Wilber’schen Hauptgruppen werden wir uns im nächsten Teil beschäftigen. Ein
Verständnis derselben wird es uns ermöglichen, schamanische
Bewusstseinszustände in ein Klassifikationsschema einzureihen. Wir
können diese dann aus der Wilber’schen Perspektive betrachten und von anderen
veränderten Bewusstseinszuständen abgrenzen.
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