Diese
Artikelserie ist vom Bemühen getragen, mehr Klarheit bezüglich des wahren
Alters des Schamanismus zu schaffen. Dazu ist es erforderlich, dass wir mehr
Licht in das Dunkel der Vorgeschichte werfen.
Wir werden deshalb nicht nur die
stammesgeschichtliche Entwicklung des Menschen überblicksmäßig betrachten,
sondern auch kürzlich gemachte, sehr bedeutsame archäologische Funde. Diese sind
in der Tat sensationell! Deren Alter wurde teils auf bis zu 800.000 Jahre vor unserer
Zeit datiert. Aus der Zusammenschau aller mir bekannten Fakten, werde ich
versuchen, meine persönliche Theorie bezüglich des Alters des Schamanismus
abzuleiten. Im letzten Teil dieser Serie werden wir das Auftauchen einer neuen
Qualität des Bewusstseins bei den Jägern und Sammlern der Altsteinzeit und
dessen Ursache erörtern. Die damit verbundene dramatischen Veränderung in
Wahrnehmungsfähigkeit unserer Urahnen bildet die wichtigste Voraussetzung
für das Auftauchen des Schamanismus.
Wie ich anderswo gezeigt habe, wird der Schamanismus entweder als eine
vorreligiöse Disziplin, oder als die Urreligion der Menschheit betrachtet. Es
gibt viele Hinweise, dass aus ihm Magie, Religion, Kunst, Tanz, Musik, Theater
und vielleicht sogar die Sprache und die Schrift hervor gegangen sind. Wir
finden Fingerzeige in diese Richtung in den Mythen, der Folklore und im
Brauchtum unterschiedlicher Völker.
Wir wissen, dass die Wurzeln des
Phänomens bis zu den Jägern und Sammlern
der Altsteinzeit zurück reichen, doch immer dann, wenn wir die Zeit seines
ersten Auftauchens näher konkretisieren wollten, verlor sich die Spur schon
sehr bald im Dunkel der Vorgeschichte.
Diese Unklarheit bezüglich der Anfänge des Schamanismus könnte schon sehr
rasch durch kürzlich gemachte, aräologische Fundstücke beseitigt werden.
Diese werfen ihr eigenes Licht in jene graue
Vergangenheit.
Unsere Spezies, der HOMO SAPIENS (lat. homo = Mensch, sapiens = weise), ist
die einzige biologische Art des Menschen, die bis auf den heutigen Tage
überlebt hat und diesen Planeten bevölkert. All unsere
stammesgeschichtlichen Vorfahren und Verwandten sind ausgestorben.
Wenn wir die ‚Geburtsstunde’ des Schamanismus proximativ abklären wollen,
müssen wir zunächst eine Abgrenzung zwischen dem HOMO SAPIENS und seinen
menschlichen Vorläufern sowie dessen tierischen Verwandten vornehmen.
Wir müssen uns dazu folgende wichtige Frage stellen:
WAS SIND DIE TYPISCHEN EIGENSCHAFTEN, DIE EINEN MENSCHEN AUSMACHEN?
Was unterscheidet also den HOMO SAPIENS von seinen Vorläufern? Ist es etwa
der aufrechte Gang? Oder ist es seine Fähigkeit mit dem Feuer umzugehen? Ist
es die Verwendung von Werkzeugen? Oder ist es die Erfindung der Sprache und
Schrift?
Die Antworten darauf sind so verblüffend wie die Fragen selbst. Bis auf
den Gebrauch des Feuers und der Schrift, finden wir alle übrigen der hier
genannten Eigenschaften und Fähigkeiten zumindest ansatzweise auch bei
unseren Vorfahren und sogar bei unseren stammesgeschichtlichen
‚Seitenverwandten’, den Primaten.
Gemäß
einigen Verhaltensforschern, besitzen Schimpansen gewisse Fähigkeiten, die
annähernd der Entwicklung eines Dreijährigen entsprechen. Delfine und Affen
benutzen primitive Werkzeuge und kommunizieren durch unterschiedliche Grunz- oder Pfeiflaute. Die Wissenschaft hat weiters
belegt, dass bestimmte Wale Hirnstrukturen besitzen, die teilweise jenen des
Menschen gleichen. Auch diese Säugetiere verständigen sich mittels einer
komplexen Kommunikation. Sie leben in sozialen Einheiten zusammen und besitzen
anscheinend auch eine rudimentär ausgeprägte Kultur.
Bereits an diesem Punkt erkennen wir, dass es keine leichte Aufgabe ist, eine
scharfe Trennlinie zwischen Tier und Mensch zu ziehen. Dennoch können wir
unzweifelhaft feststellen, dass die kognitiven
Eigenschaften und Fähigkeiten des modernen Menschen von keiner anderen
Spezies auf diesem Planeten erreicht wurden.
Wenn man überdies die außerordentlichen kulturellen Leistungen sowie die
intellektuellen Fähigkeiten des Menschen auf den Gebieten der Wissenschaften,
der Mathematik, Technik, Musik, Literatur, Sprache, Schrift und Kunst in die
Gleichung miteinbezieht, dann ergibt sich daraus seine unangefochtene Stellung
an der Spitze der gesamten Entwicklung alles Lebens.
Der
moderne Mensch, der HOMO SAPIENS, ist seit seinem Bestehen das einzige
Lebewesen auf Erden, das die Dimensionen des Universums erforschen und
teilweise auch begreifen kann. Er ist die einzige Spezies, die sich seiner
selbst in hohem Grade bewusst ist. Und er ist das einzige Lebewesen, das über
eine besondere Qualität des Willens verfügt, was ihm ein kontrollierbares
Verhalten ermöglicht. Nur der Mensch ist in der Lage, die Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft zeitlich auseinander zu halten, und gerade daraus
erwächst ihm allein die Erkenntnis bezüglich seines Anfangs und
unvermeidlichen Endes.
Wir wollen in dieser Serie versuchen, das wahrscheinliche Alter des
Schamanismus durch Anwendung einer deduktive Methode näher zu konkretisieren. Da
auch dieses Unterfangen äußerst schwierig ist, erscheint es mir aus
didaktischen Gründen sinnvoll, wenn wir im nächsten Teil die bisher bekannte
Entwicklung des Menschen etwas näher beleuchten.
Anschließend werden wir uns mit jenen sensationellen archäologischen Funden
beschäftigen, die ein völlig neues Licht auf die Anfänge des Schamanismus
werfen. Im letzten Teil dieser Serie werde ich meine Vision betreffend das
Aufdämmern des Schamanismus in den post-archaischen Epochen der Altsteinzeit
erläutern.
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