Wie bereits
angedeutet, konnten Genetiker bis vor Kurzem keine detaillierten Erkenntnisse
über die Art und Weise der Eroberung unseres Planeten durch unsere frühen
Vorfahren anbieten. Der Grund dieses Unvermögens bestand darin, dass sich die
Mehrzahl der untersuchten Gene in jeder Generation vermischen bzw.
rekombinieren und sohin in jeder Population nachgewiesen werden können.
Die Aufgabe,
unsere prähistorischen Verwandten mit den älteren Methoden der Gen-Analyse
ausfindig zu machen, ist mit der Rekonstruktion eines bereits gespielten
Schachspieles vergleichbar, nachdem das Deck bereits geräumt und die Figuren
beiseite gestellt wurden. Es war den Genetikern lange Zeit nicht möglich, mit
ihren herkömmlichen Methoden einen Familienbaum zu erstellen, der auch nur
einige Jahrhunderte zurück gereicht hätte, geschweige denn einen solchen,
der die Anfänge der Menschheit miteinbeziehen würde.
Adam- und
Eva-Gene
Einen
sensationellen Durchbruch brachte die Verwendung geschlechtsspezifischer
Genlinien. Die sog. Adam- und Eva-Gene haben in den letzten zehn Jahren die
erwähnten Hindernisse beseitigt.
Im Gegensatz
zu allen anderen Genen, wird die mitochondrienale DNA (mtDNA) – eine
Ansammlung von Genen, die sich außerhalb des Zellkerns befindet –
ausschließlich von den Müttern vererbt, und das Y-Chromosom ausschließlich
von den Vätern. Diese beiden an das Geschlecht gebundenen Gene werden
unverändert von einer Generation auf nächste übertragen, ohne dass es dabei
zu einer Rekombination kommt. Dieser Umstand ermöglicht es heute,
sämtliche
Gen-Linien eines Menschen zurück in die ferne Vergangenheit bis zu unseren
Urahnen zu verfolgen und noch weiter zurück bis zu unseren Seitenverwandten,
den Primaten.
Auf diese
Weise können wir zwei Familien-Genbäume oder Gen-Diagramme konstruieren,
eines für unsere Väter und ein anderes für unsere Mütter. Im Ergebnis
bedeutet dies, dass wir nunmehr die Gene von zwei Individuen auf einen dieser
zwei Genbäume bis zum jüngsten gemeinsamen Vorfahren zurück verfolgen
können. Ob dieser Vorfahre vor 1.800 Jahren gelebt hat, oder vor 180.000
Jahren, tut dabei nichts zur Sache, da heute allen Vorfahren des Menschen ein
ganz bestimmter Platz auf dem Adam- und Eva-Genbaum zugeordnet werden kann.
Bei jenen Gen-Bäumen handelt es sich um tatsächliche Familien-Diagramme mit
Genlinien des modernen Menschen, und diese haben naturgemäß viele Äste.
Jeder Ast kann heute datiert werden, wenn auch die Genauigkeit dabei noch
einiges zu wünschen übrig lässt.
Kulturelle und
biologische Märchen und Legenden
Dank dieser
Erkenntnisse der modernen Genforschung, konnten auch einige Paradoxien
beseitigt werden, die aus den kulturellen und biologischen Legenden der
letzten 150.000 Jahre resultierten. Wir können nun damit beginnen, alle
bislang entdeckten menschlichen Relikte an deren korrekten Platz am Gen-Baum
des Lebens festzumachen.
Viele
brennende Fragen wurden inzwischen beantwortet. Dabei hat sich herausgestellt,
dass die Welt kein genetischer Schmelztiegel massiver prähistorischer
Migrationsbewegungen und Mischungen ist. Vielmehr haben sich die Proponenten
der menschlichen Ausbreitung sehr konservativ verhalten, indem sie für lange
Zeit in jenen Kolonien geblieben sind, die von ihren Vorgängern gegründet
worden waren.
Out-of-Africa-Theorie versus multiregionale Ausbreitung
Die
jüngere
Genforschung gibt noch weitere Antworten auf bedeutsame Fragen. Ein Beispiel
dafür ist die Lösung der akademischen Kontroverse, ob die Verbreitung des
Menschen von Afrika aus ihren Anfang genommen (Out-of-Africa-Theorie), oder ob
sich diese multiregional vollzogen hatte.
Die erste
Theorie geht davon aus, dass alle modernen Menschen, die heute außerhalb
Afrikas leben, von einer jüngeren Migrationsbewegung abstammen, die vor
weniger als 100.000 Jahren von Afrika aus erfolgt ist. Dieser Exodus hat
offensichtlich die meisten früheren menschlichen Arten auf der gesamten Welt
ausgelöscht. Die Vertreter der Theorie einer multiregionalen Verbreitung des
Menschen gingen demgegenüber bis noch vor Kurzem davon aus, dass sich der
Homo neadertaliensis in Europa und der Homo erctus im Fernen Osten,
in die verschiedenen Rassen entwickelt hätten, die wir heute auf Erden
vorfinden.
Die
Out-of-Afrika-Theorie gilt nunmehr als erwiesen, zumal die modernen
genetischen Diagramme betreffend die letzten 100.000 Jahre direkt zurück nach
Afrika verweisen. Es wurden keine Adam- und Eva-Genlinien älterer Arten des
Menschen in unseren Gen-Bäumen gefunden, mit einer einzigen Ausnahme an den
Wurzeln des Diagramms, wo wir heute unsere genetische Entfernung zum
Neandertaler messen können. Auch das Gen-Material der Neandertaler
wurde inzwischen unter Verwendung der mtDNA-Analyse untersucht, und es sieht
ganz danach aus, dass diese eher unsere Cousins gewesen sind und nicht unsere
direkten Vorfahren. Wir teilen uns aber mit ihnen einen anderen gemeinsamen
Vorfahren, den Homo helmei.
Der
Haupt-Exodus aus Afrika
Einige
Vertreter der Out-of-Africa-Theorie nahmen irrtümlich an, dass alle
ursprünglichen Einwohner Australiens (Aboriginal), Asiens und Europas aus
unterschiedlichen, von einander getrennt erfolgten Migrationsbewegungen des
Homo sapiens hervorgegangen seien, die in Afrika ihren Ursprung hatten.
Dem ist aber nicht so! Die männlichen und weiblichen genetischen Diagramme
weisen bloß eine einzige Adam- und Eva-Linie auf, die jeweils aus Afrika
kommt. Es gab also bloß einen einzigen Haupt-Exodus des modernen Menschen aus
Afrika, da jede mit den modernen Methoden gewonnene Geschlechtslinie nur einen
gemeinsamen genetischen Vorfahren aufweist, von dem die gesamte
Nicht-afrikanische-Welt väterlicherseits oder mütterlicherseits abstammt.
Weitere
Konsequenzen der neueren Genforschung
Auch andere Vorurteile konnten durch die moderne Genanalyse widerlegt werden.
Einige europäische Archäologen und Anthropologen haben lange Zeit angenommen,
dass die Europäer die Ersten gewesen wären, welche zu malen, bildhauen und
zu schnitzen gelernt hätten. Diese Leute der Wissenschaft haben auch gelehrt,
dass die Europäer als erste eine komplexe Kultur hervorgebracht, und als
erste Menschen zu sprechen gelernt hätten. Derartige Annahmen und Lehren
unterstellten unrichtigerweise, dass die Europäer im Vergleich mit dem Rest
der Welt einen größeren biologischen Fortschritt vollzogen hätten. Die
Struktur des Baumes der Adam- und Eva Gene widerlegte all diese an Narziss
erinnernden Annahmen.
Revolutionäre verwandtschaftliche Erkenntnisse
Nach den neuesten Erkenntnissen der Genforschung sind die australischen
Aboriginal mit den Europäern verwandt. Sie teilen sich mit ihnen einen
gemeinsamen Vorfahren, der unmittelbar nach dem Auszug aus Afrika in den Jemen
vor 85.000 Jahren gelebt hat.
Diese Migrationsbewegung verlief entlang der
Küstenlinie des Indischen Ozeans, und unsere frühen Vorfahren erreichten
über den Indonesischen Archipel durch ‚Insel-Hüpfen’ schließlich
Australien, wo sie in völliger Isolation einzigartige, komplexe
künstlerische Kulturen hervorgebracht haben.
Neue Antworten bezüglich der Ausbreitung der neolithischen Kultur
Eine
weitere Kontroverse, die mit der neuen Genanalyse beendet wurde, betrifft die
Ausbreitung der neolithischen Kultur von der Türkei über ganz Europa vor
etwa 8.000 Jahren. Haben die Bauern des Nahen Ostens etwa die europäischen
Jäger und Sammler ausgemerzt? Oder hat sich die Ausbreitung der neuen Ideen,
welche die Sesshaftwerdung des Menschen einläuteten und die prähistorischen
Jäger und Sammler Europas in Bauern und Viehzüchter verwandelten,
friedlicher vollzogen?
Die ‚genetische Antwort’ auf diese Fragen ist klar: 80% der modernen Europäer
stammen von den alten Jäger- und Sammler-Gesellschaften ab, und nur 20% von
den ersten Bauern und Viehzüchtern des Nahen Ostens.
Und woher kamen die Polynesier?
Wenden wir uns der anderen Seite der Welt zu, dann finden wir dort vielfarbige
Spekulationen betreffend den Ursprung der Polynesier. Kapitän Cook, der
‚Entdecker Australiens’, und Thor Heyerdahl nahmen irrtümlich an, dass die
Polynesier aus dem Malayischen Archipel stammten. Vor 15 Jahre ging die
Archäologie noch davon aus, dass die Polynesier aus Taiwan stammen würden.
Der genetische Baum hat auch diese Spekulationen widerlegt. Die Vorfahren der
Polynesier entstammen dem weiteren Verlauf jener prähistorischen
Migrationsbewegung, die ihren Anfang vom östlichen Teil Indonesiens, dh von
Ost Timor aus genommen hat. Ost Timor gehörte von 1976 bis zur Volksabstimmung
1999 zur Republik Indonesien und wurde danach ein eigener Staat mit dem Namen
Timor Dolorosa.
An diesem Punkt sollte sich der Leser nochmals in Erinnerung rufen, dass wir
alle an dieser fantastischen genetischen Geschichte teilhaben. Der größte
Teil der Rekonstruktionsarbeit betreffend unsere genetische Abstammung wurde
unter Verwendung der mtDNA-Analyse getan. Die Spendergene kamen von Menschen,
die heute in unterschiedlichen Weltgegenden leben. Die auf den nächsten
Seiten beschriebenen Einsichten betreffend die Ausbreitung unserer Spezies und
des Schamanismus sind somit von größter Relevanz für alle Individuen.
Auflösung anscheinender Paradoxien
Wenn wir alle unseren Ursprung in Schwarz-Afrika haben, warum erscheint es
dann so, dass es unterschiedliche Rassen des Menschen gibt? Und wie nahe sind
denn diese miteinander verwandt? Sind wir alle Teil einer einzigen Familie,
oder haben die Afrikaner, die Aboriginal, die Europäer und Ostasiaten einen
unterschiedlichen evolutionären Ursprung? Welche Kräfte in unserer
evolutionären Geschichte haben die Nachkommen jener Affen, welche gerade den
Dschungel verlassen hatten und das afrikanische Grasland durchwanderten,
innerhalb weniger Millionen Jahren in den Weltraum katapultiert?
Die moderne DNA-Analyse hat zum Verständnis der biologischen Geschichte des
Menschen ganz wesentlich beigetragen. Das sog. Adam- und Eva-Gen erlaubt uns
eine ‚Schamanische Reise’ in die ferne Vergangenheit. Wir können nun den
Wanderungen der menschlichen Familie während der letzten 200.000 Jahre durch
Afrika und anschließend rund um den Erdball folgen.
Der
größte Teil der biologischen Geschichte des Menschen wurde durch
gemeinsame Studien fossiler Funde sowie der damals vorherrschenden
klimatischen Verhältnisse rekonstruiert. Außer dem Homo sapiens
wurden alle anderen menschlichen Arten im Lauf der Zeit ausgelöscht. Einige
Vorläufer des Menschen traf dieses Schicksal bereits vor sehr langer Zeit, so
dass keine lebenden Gene von ihnen vorhanden sind, welche analysiert werden
könnten.
Würden wir aber behaupten, dass überhaupt kein genetisches Material von
früheren Menschenarten vorhanden wäre, dann wäre das falsch. Die meisten
Gene in unserem Zellkern wurden fast unbeschädigt von frühen menschlichen
Vorfahren sowie von unseren Seitenverwandten aus dem Tierreich, den Primaten,
vererbt. Einige menschliche Gene können noch immer in unterschiedlichen
Formen gefunden werden, die sich bereits zu einer Zeit von einander
abgespaltet haben, in welcher der Homo sapiens noch nicht existierte.
Die wirkliche Revolution im Verständnis der genetischen Vorgeschichte des
Menschen betrifft aber die letzten 200.000 Jahre. Dies ist auch jene Zeit, die
uns im Hinblick auf die Ausbreitung des Schamanismus am meisten interessiert.
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