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Die Ausbreitung des Schamanismus - Teil 3 von 5
von Dr. Friedrich Demolsky

Das Adam- und Eva-Gen und die Ausbreitung des Schamanismus

Wie bereits angedeutet, konnten Genetiker bis vor Kurzem keine detaillierten Erkenntnisse über die Art und Weise der Eroberung unseres Planeten durch unsere frühen Vorfahren anbieten. Der Grund dieses Unvermögens bestand darin, dass sich die Mehrzahl der untersuchten Gene in jeder Generation vermischen bzw. rekombinieren und sohin in jeder Population nachgewiesen werden können.

Die Aufgabe, unsere prähistorischen Verwandten mit den älteren Methoden der Gen-Analyse ausfindig zu machen, ist mit der Rekonstruktion eines bereits gespielten Schachspieles vergleichbar, nachdem das Deck bereits geräumt und die Figuren beiseite gestellt wurden. Es war den Genetikern lange Zeit nicht möglich, mit ihren herkömmlichen Methoden einen Familienbaum zu erstellen, der auch nur einige Jahrhunderte zurück gereicht hätte, geschweige denn einen solchen, der die Anfänge der Menschheit miteinbeziehen würde.

Adam- und Eva-Gene

Einen sensationellen Durchbruch brachte die Verwendung geschlechtsspezifischer Genlinien. Die sog. Adam- und Eva-Gene haben in den letzten zehn Jahren die erwähnten Hindernisse beseitigt.

Im Gegensatz zu allen anderen Genen, wird die mitochondrienale DNA (mtDNA) – eine Ansammlung von Genen, die sich außerhalb des Zellkerns befindet – ausschließlich von den Müttern vererbt, und das Y-Chromosom ausschließlich von den Vätern. Diese beiden an das Geschlecht gebundenen Gene werden unverändert von einer Generation auf nächste übertragen, ohne dass es dabei zu einer Rekombination kommt. Dieser Umstand ermöglicht es heute, sämtliche Gen-Linien eines Menschen zurück in die ferne Vergangenheit bis zu unseren Urahnen zu verfolgen und noch weiter zurück bis zu unseren Seitenverwandten, den Primaten.

Auf diese Weise können wir zwei Familien-Genbäume oder Gen-Diagramme konstruieren, eines für unsere Väter und ein anderes für unsere Mütter. Im Ergebnis bedeutet dies, dass wir nunmehr die Gene von zwei Individuen auf einen dieser zwei Genbäume bis zum jüngsten gemeinsamen Vorfahren zurück verfolgen können. Ob dieser Vorfahre vor 1.800 Jahren gelebt hat, oder vor 180.000 Jahren, tut dabei nichts zur Sache, da heute allen Vorfahren des Menschen ein ganz bestimmter Platz auf dem Adam- und Eva-Genbaum zugeordnet werden kann. Bei jenen Gen-Bäumen handelt es sich um tatsächliche Familien-Diagramme mit Genlinien des modernen Menschen, und diese haben naturgemäß viele Äste. Jeder Ast kann heute datiert werden, wenn auch die Genauigkeit dabei noch einiges zu wünschen übrig lässt.

Kulturelle und biologische Märchen und Legenden

Dank dieser Erkenntnisse der modernen Genforschung, konnten auch einige Paradoxien beseitigt werden, die aus den kulturellen und biologischen Legenden der letzten 150.000 Jahre resultierten. Wir können nun damit beginnen, alle bislang entdeckten menschlichen Relikte an deren korrekten Platz am Gen-Baum des Lebens festzumachen.

Viele brennende Fragen wurden inzwischen beantwortet. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Welt kein genetischer Schmelztiegel massiver prähistorischer Migrationsbewegungen und Mischungen ist. Vielmehr haben sich die Proponenten der menschlichen Ausbreitung sehr konservativ verhalten, indem sie für lange Zeit in jenen Kolonien geblieben sind, die von ihren Vorgängern gegründet worden waren.

Out-of-Africa-Theorie versus multiregionale Ausbreitung

Die jüngere Genforschung gibt noch weitere Antworten auf bedeutsame Fragen. Ein Beispiel dafür ist die Lösung der akademischen Kontroverse, ob die Verbreitung des Menschen von Afrika aus ihren Anfang genommen (Out-of-Africa-Theorie), oder ob sich diese multiregional vollzogen hatte.

Die erste Theorie geht davon aus, dass alle modernen Menschen, die heute außerhalb Afrikas leben, von einer jüngeren Migrationsbewegung abstammen, die vor weniger als 100.000 Jahren von Afrika aus erfolgt ist. Dieser Exodus hat offensichtlich die meisten früheren menschlichen Arten auf der gesamten Welt ausgelöscht. Die Vertreter der Theorie einer multiregionalen Verbreitung des Menschen gingen demgegenüber bis noch vor Kurzem davon aus, dass sich der Homo neadertaliensis in Europa und der Homo erctus im Fernen Osten, in die verschiedenen Rassen entwickelt hätten, die wir heute auf Erden vorfinden.

Die Out-of-Afrika-Theorie gilt nunmehr als erwiesen, zumal die modernen genetischen Diagramme betreffend die letzten 100.000 Jahre direkt zurück nach Afrika verweisen. Es wurden keine Adam- und Eva-Genlinien älterer Arten des Menschen in unseren Gen-Bäumen gefunden, mit einer einzigen Ausnahme an den Wurzeln des Diagramms, wo wir heute unsere genetische Entfernung zum Neandertaler messen können. Auch das Gen-Material der Neandertaler wurde inzwischen unter Verwendung der mtDNA-Analyse untersucht, und es sieht ganz danach aus, dass diese eher unsere Cousins gewesen sind und nicht unsere direkten Vorfahren. Wir teilen uns aber mit ihnen einen anderen gemeinsamen Vorfahren, den Homo helmei.

Der Haupt-Exodus aus Afrika

Einige Vertreter der Out-of-Africa-Theorie nahmen irrtümlich an, dass alle ursprünglichen Einwohner Australiens (Aboriginal), Asiens und Europas aus unterschiedlichen, von einander getrennt erfolgten Migrationsbewegungen des Homo sapiens hervorgegangen seien, die in Afrika ihren Ursprung hatten. Dem ist aber nicht so! Die männlichen und weiblichen genetischen Diagramme weisen bloß eine einzige Adam- und Eva-Linie auf, die jeweils aus Afrika kommt. Es gab also bloß einen einzigen Haupt-Exodus des modernen Menschen aus Afrika, da jede mit den modernen Methoden gewonnene Geschlechtslinie nur einen gemeinsamen genetischen Vorfahren aufweist, von dem die gesamte Nicht-afrikanische-Welt väterlicherseits oder mütterlicherseits abstammt.

Weitere Konsequenzen der neueren Genforschung

Auch andere Vorurteile konnten durch die moderne Genanalyse widerlegt werden. Einige europäische Archäologen und Anthropologen haben lange Zeit angenommen, dass die Europäer die Ersten gewesen wären, welche zu malen, bildhauen und zu schnitzen gelernt hätten. Diese Leute der Wissenschaft haben auch gelehrt, dass die Europäer als erste eine komplexe Kultur hervorgebracht, und als erste Menschen zu sprechen gelernt hätten. Derartige Annahmen und Lehren unterstellten unrichtigerweise, dass die Europäer im Vergleich mit dem Rest der Welt einen größeren biologischen Fortschritt vollzogen hätten. Die Struktur des Baumes der Adam- und Eva Gene widerlegte all diese an Narziss erinnernden Annahmen.

Revolutionäre verwandtschaftliche Erkenntnisse

Nach den neuesten Erkenntnissen der Genforschung sind die australischen Aboriginal mit den Europäern verwandt. Sie teilen sich mit ihnen einen gemeinsamen Vorfahren, der unmittelbar nach dem Auszug aus Afrika in den Jemen vor 85.000 Jahren gelebt hat.

Diese Migrationsbewegung verlief entlang der Küstenlinie des Indischen Ozeans, und unsere frühen Vorfahren erreichten über den Indonesischen Archipel durch ‚Insel-Hüpfen’ schließlich Australien, wo sie in völliger Isolation einzigartige, komplexe künstlerische Kulturen hervorgebracht haben.

Neue Antworten bezüglich der Ausbreitung der neolithischen Kultur

Eine weitere Kontroverse, die mit der neuen Genanalyse beendet wurde, betrifft die Ausbreitung der neolithischen Kultur von der Türkei über ganz Europa vor etwa 8.000 Jahren. Haben die Bauern des Nahen Ostens etwa die europäischen Jäger und Sammler ausgemerzt? Oder hat sich die Ausbreitung der neuen Ideen, welche die Sesshaftwerdung des Menschen einläuteten und die prähistorischen Jäger und Sammler Europas in Bauern und Viehzüchter verwandelten, friedlicher vollzogen?

Die ‚genetische Antwort’ auf diese Fragen ist klar: 80% der modernen Europäer stammen von den alten Jäger- und Sammler-Gesellschaften ab, und nur 20% von den ersten Bauern und Viehzüchtern des Nahen Ostens.

Und woher kamen die Polynesier?

Wenden wir uns der anderen Seite der Welt zu, dann finden wir dort vielfarbige Spekulationen betreffend den Ursprung der Polynesier. Kapitän Cook, der ‚Entdecker Australiens’, und Thor Heyerdahl nahmen irrtümlich an, dass die Polynesier aus dem Malayischen Archipel stammten. Vor 15 Jahre ging die Archäologie noch davon aus, dass die Polynesier aus Taiwan stammen würden.

Der genetische Baum hat auch diese Spekulationen widerlegt. Die Vorfahren der Polynesier entstammen dem weiteren Verlauf jener prähistorischen Migrationsbewegung, die ihren Anfang vom östlichen Teil Indonesiens, dh von Ost Timor aus genommen hat. Ost Timor gehörte von 1976 bis zur Volksabstimmung 1999 zur Republik Indonesien und wurde danach ein eigener Staat mit dem Namen Timor Dolorosa.

An diesem Punkt sollte sich der Leser nochmals in Erinnerung rufen, dass wir alle an dieser fantastischen genetischen Geschichte teilhaben. Der größte Teil der Rekonstruktionsarbeit betreffend unsere genetische Abstammung wurde unter Verwendung der mtDNA-Analyse getan. Die Spendergene kamen von Menschen, die heute in unterschiedlichen Weltgegenden leben. Die auf den nächsten Seiten beschriebenen Einsichten betreffend die Ausbreitung unserer Spezies und des Schamanismus sind somit von größter Relevanz für alle Individuen.

Auflösung anscheinender Paradoxien

Wenn wir alle unseren Ursprung in Schwarz-Afrika haben, warum erscheint es dann so, dass es unterschiedliche Rassen des Menschen gibt? Und wie nahe sind denn diese miteinander verwandt? Sind wir alle Teil einer einzigen Familie, oder haben die Afrikaner, die Aboriginal, die Europäer und Ostasiaten einen unterschiedlichen evolutionären Ursprung? Welche Kräfte in unserer evolutionären Geschichte haben die Nachkommen jener Affen, welche gerade den Dschungel verlassen hatten und das afrikanische Grasland durchwanderten, innerhalb weniger Millionen Jahren in den Weltraum katapultiert?

Die moderne DNA-Analyse hat zum Verständnis der biologischen Geschichte des Menschen ganz wesentlich beigetragen. Das sog. Adam- und Eva-Gen erlaubt uns eine ‚Schamanische Reise’ in die ferne Vergangenheit. Wir können nun den Wanderungen der menschlichen Familie während der letzten 200.000 Jahre durch Afrika und anschließend rund um den Erdball folgen.

Der größte Teil der biologischen Geschichte des Menschen wurde durch gemeinsame Studien fossiler Funde sowie der damals vorherrschenden klimatischen Verhältnisse rekonstruiert. Außer dem Homo sapiens wurden alle anderen menschlichen Arten im Lauf der Zeit ausgelöscht. Einige Vorläufer des Menschen traf dieses Schicksal bereits vor sehr langer Zeit, so dass keine lebenden Gene von ihnen vorhanden sind, welche analysiert werden könnten.

Würden wir aber behaupten, dass überhaupt kein genetisches Material von früheren Menschenarten vorhanden wäre, dann wäre das falsch. Die meisten Gene in unserem Zellkern wurden fast unbeschädigt von frühen menschlichen Vorfahren sowie von unseren Seitenverwandten aus dem Tierreich, den Primaten, vererbt. Einige menschliche Gene können noch immer in unterschiedlichen Formen gefunden werden, die sich bereits zu einer Zeit von einander abgespaltet haben, in welcher der Homo sapiens noch nicht existierte.

Die wirkliche Revolution im Verständnis der genetischen Vorgeschichte des Menschen betrifft aber die letzten 200.000 Jahre. Dies ist auch jene Zeit, die uns im Hinblick auf die Ausbreitung des Schamanismus am meisten interessiert.
 

Die Ausbreitung des Schamanismus - Teil 4 >>>

 

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