Wenn wir uns den status quo ante bewusst machen wollen, dh jene Situation vor
der Ausbreitung des Schamanismus in alle Weltgegenden, müssen wir uns daran
erinnern, dass vor 3 Millionen Jahren andere intelligente Affen bzw. Vorfahren
des heutigen Menschen die Savanne des Schwarzen Kontinents durchstreift
hatten.
Siehe
dazu auch ‚Das Alter des Schamanismus – Teil 1 – 5’ >>>
Wir betrachten aber hier die Ausbreitung des Schamanismus in alle Welt, dh wir
blicken auf ein Phänomen, das nach meinem Dafürhalten irgendwann zwischen
800.000 bis 220.000 Jahren vor unserer Zeit (vuZ) aufgetreten ist. Aus diesem
Grunde müssen wir den Gegenstand unserer Betrachtung eingrenzen. Wir
limitieren diesen auf ganz bestimmte Vorläufer des modernen Menschen, auf den
Homo erectus, den Neandertaler und natürlich auch auf die
kontemporäre Spezies, der wir selbst angehören, den Homo sapiens, da
nur diese Arten die entscheidenden Voraussetzungen für das Auftauchen des
Phänomens erfüllt haben.
Wie ich in meiner og. Artikelserie gezeigt habe, war der Home erectus
jener Vorfahre des heutigen Menschen, der alle Eigenschaften aufwies, die eine notwendige Voraussetzung
für die
Entstehung des Schamanismus bilden.
Der Homo erectus dominierte unsere Erde etwa 1 Million Jahre. Diese
Spezies hatte ein traurig anmutendes, besorgtes Antlitz, eine flache Nase und
verfügte bereits über ein Gehirnvolumen von 1000ccm, das im Laufe seiner
Entwicklung immer mehr zunahm. Das Gesicht ausgenommen, war der Homo
erectus unserer Art sehr ähnlich. Er verwendete Steinwerkzeuge und
verfügte über gut bearbeitete Steinäxte.
Es war aber dessen Vorfahre, der Homo ergaster, der als erster
Vorläufer des heutigen Menschen den Schwarzen Kontinent kurz nach seinem
Auftreten vor etwa 1,7 Millionen Jahren verließ und in Asien der Ahnherr des
Homo erectus wurde (Java Mensch, Peking Mensch). Der Homo erectus
war etwas kleiner als unsere Art, und er verbreitete sich rasch über den
Mittleren Osten, Russland, Indien, den Fernen Osten und Südost-Asien. Es
scheint mir sehr wahrscheinlich, dass der Homo erectus die erste Art
des Menschen gewesen ist, welche die zarten Anfänge des Phänomens
Schamanismus in die von ihm kolonisierten Weltgegenden ‚exportiert’ hat.
Es gab auch kontroversielle Behauptungen unter Wissenschaftlern, dass bereits
der Homo habilis vor dem Homo erectus Afrika verlassen haben
könnte, doch interessieren uns diese im Rahmen unseres Gegenstandes weniger,
zumal wir hier davon ausgehen, dass erst mit dem Homo erectus alle
Voraussetzungen für das Auftreten des Schamanismus erfüllt waren. Außerdem
gibt es heute besser belegte Beweise dafür, dass alle Nachfahren des Homo
habilis ihren Weg aus Afrika während einer interglazialen Erwärmungen
genommen haben, die zwischen den Eiszeiten auftraten.
Wir gehen also weiterhin mit Grund davon aus, dass der Homo erectus
für nahezu eine Million Jahre Afrika und die von ihm bereits besiedelte Welt
dominiert hat. Seine Dominanz dauerte zumindest so lange bis weitere Eiszeiten
den Kontinent Afrika austrockneten und eine neue, höher entwickelte Spezies
in Erscheinung trat – der Homo rhodesiensis. Dieser hatte unsere
Körpergröße und bereits ein Gehirnvolumen von 1.250ccm. Er verwendete
bessere Steinwerkzeuge als sein Vorgänger, die in der Archäologie
‚Acheuléen’ genannte werden. Bei diesem Begriff handelt es sich um den Namen
eines Dorfes in Frankreich, wo diese Fundstücke erstmals entdeckt worden
waren. Darunter befanden sich auch breite, flache, bearbeitete,
tränenförmige Handäxte. Dieser Vorläufer unserer Spezies schaffte während
einer kurzen Phase der Erwärmung vor 500.000 Jahren den Weg aus Afrika heraus
nach Europa und möglicherweise auch nach China. Auf seiner Reise brachte er
die Acheuléen-Technologie in diese Regionen.
Vor etwa 350.000 Jahre kam es zu einer weiteren, gewaltigen Eiszeit auf
unserem Planeten. Daraus ging vor etwa 300.000 Jahren eine neue Menschenart
hervor, welche von der Wissenschaft teils als Archaischer Homo Sapiens,
teils als Homo helmei bezeichnet wird.
Diese Spezies hatte überhängende Augenbrauen und eine Körpergröße, die
der unseren entsprach. Das Gehirnvolumen des Homo helmei war etwas
größer als 1.400ccm und damit größer als unseres. Diese Art lag nun an der
Spitze der Entwicklung des Menschen, was die dramatische Zunahme des
Hirnvolumens betrifft. Einige Altertumsforscher nehmen an, dass der Homo
helmei durchaus in unsere moderne Gesellschaft gepasst hätte, sofern er
in einer modernen Familie aufgezogen worden wäre.
In einer
größeren und länger dauernden Migrationsbewegung während einer
wärmeren Periode, die ebenfalls von Afrika ausging, verbreitete sich der
Homo helmei vor 250.000 Jahren über ganz Eurasien. Diese Art könnte auch
der Vorläufer des Neandertalers in Europa und Asien gewesen sein. Es
gibt Fundstücke aus dieser Periode von möglichen Verwandten des Homo
helmei in Indien und China.
Die Ursprungsfamilie, die den unmittelbaren Vorläufer des heutigen Menschen,
den Homo sapiens, hervorbrachte, befand sich während all dieser
Perioden und Entwicklungen aber noch immer in Afrika und war zu dieser Zeit
von den Neandertalern in Europa komplett abgeschottet.
Unsere eigene Spezies erblickte das Licht der Welt vor etwa 170.000 Jahren.
Der Homo sapiens tauchte erstmals während oder nach einer Epoche auf,
die beinahe alle zu dieser Zeit existierenden menschlichen Vorfahren
ausgelöscht hat und als ‚Mutter aller Eiszeiten’ bekannt ist.
Während dieser
katastrophalen Periode, wurde die gesamte hominide Bevölkerung auf unserem
Planeten auf 10.000 Individuen dezimiert.
Obwohl bekannt ist, dass der Homo sapiens während einer darauf
folgenden Zwischeneiszeit vor etwa 120.000 Jahren den Kontinent Afrika
verlassen hat und bis in die Levante vorgedrungen ist, verfügen wir
über genetische Beweise, die belegen, dass alle Nachfahren jener ersten
Migranten unserer Spezies in ihrer Zielregion während der darauffolgenden
Eiszeit ausgestorben sind.
Der hier verwendete Begriff Levante umfasst folgendes Terrain: die
heutigen Staaten Syrien, Libanon, Israel, Palästina, Jordanien sowie die
gesamte Mittelmeerküste des Nahen Ostens, ausgenommen Ägypten.
Vor etwa 70.000 bis 80.000 Jahren verließ unsere Spezies – der Homo
sapiens – den Schwarzen Kontinent erfolgreich. Und mit dieser
Migrationsbewegung hat die lange dauernde, sukzessive Ausbreitung des modernen
Menschen in alle Welt ihren Anfang genommen.
Wir dürfen also davon ausgehen, dass die weltweite Ausbreitung des
Schamanismus vor 70.000 bis 80.000 Jahren von Afrika ausgehend ihren Anfang
genommen hat.
Wie gezeigt wurde, war in dieser Zeit Eurasien noch immer von verschiedenen
anderen Menschenarten bevölkert. Während sich die frühen Angehörigen
unserer Spezies aufmachten, um die gesamte Welt auf einer langen Reise zu
erkunden, bevölkerte der Neandertaler bis etwa 30.000 Jahre vuZ Europa und
der Homo erectus Asien. Die moderne Genanlyse findet aber keinerlei
Spuren im genetischen Material des modernen Menschen, die auf eine Abstammung
von den beiden letztgenannten Arten hinweisen würde.
Zusammenfassend kann festgestellt werden:
Wenn auch der Homo erectus der erste Vorfahre des modernen Menschen
gewesen ist, bei dem alle Voraussetzungen für das erstmalige Auftreten des
Phänomens Schamanismus gegeben waren, so ist er dennoch nicht an der globalen
Verbreitung des Schamanismus beteiligt. Ein Gleiches gilt für den
Neandertaler. Auch diese Art hat nichts zur globalen Verbreitung des
Phänomens beigetragen.
Der Homo
erectus mag die zarten Anfänge der vorreligiösen Disziplin
Schamanismus in die von ihm bevölkerten Gebiete Asiens gebracht und dort
über die Jahrhunderte hinweg kultiviert haben. Der Neandertaler mag
einen zarten Schimmer des Schamanismus erstmals nach Europa gebracht und dort
in den von ihm bevölkerten Regionen weiter entwickelt haben.
Der Durchbruch, aber, der zur weltweiten Ausbreitung und mit Sicherheit zu
einer Revitalisierung und Erweiterung des schamanischen Wissens und Denkens
auch in den europäischen und asiatischen Kolonien geführt hatte, ging mit
Sicherheit vom Homo sapiens aus, von den frühen Vertretern unserer
Spezies. Es
war der Homo sapiens, der den Schamanismus nach seinem zweiten,
erfolgreich verlaufenen Exodus aus Afrika in alle Teile der übrigen Welt
getragen hat.
Wie diese erfolgreiche Verbreitung abgelaufen ist,
werden wir im nächsten Teil dieser Serie überblicksmäßig erörtern.
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