Im
Westen neigt man auch heute noch dazu, Schamanen als gesellschaftlich
sanktionierte Psychotiker abzustempeln. Es sind Hysteriker oder Schizophrene, die es
verstünden, ihren Wahnsinn auf
sozial akzeptable Weise auszuleben.
Honorige
Repräsentanten der Wissenschaft,
sehen Schamanen auch heute noch als Geisteskranke, denen man aus rein
'humanistischen Erwägungen' mit therapeutischen Maßnahmen, mit
Beruhigungsmitteln oder mit Elektroschock zu Hilfe kommen muss, um sie der 'Wirklichkeit'
anzupassen.
Tja,
und die reaktionäre Kirche gießt noch Öl in dieses 'Fegefeuer', indem sie Schamanen in Ost
und West als Teufelsanbeter oder Schwarzmagier brandmarkt.
Lies dazu den Artikel:
'Black Magic Hysterie in Papua Neu Guinea' >>>
Jene
Wissenschaftler, die schamanische und schizophrene Bewusstseinszustände
gleichsetzen, gehen irrtümlich davon aus, dass es nur einen einzigen
'schamanischen' und einen einzigen 'schizophrenen' Bewusstseinszustand gibt.
Demgegenüber ist aber erwiesen, dass eine Vielzahl
veränderter Bewusstseinszustände
existiert.
Der schamanische Bewusstseinszustand darf auch nicht mit jenen
veränderten Geisteszuständen gleichgesetzt werden, die der Yogi oder der
Meditierende erlebt. Eliade, ein sachkundiger Kenner des Schamanismus
und des Yoga, klärt uns in seinem Buch Yoga: Unsterblichkeit und Freiheit
unmissverständlich auf:
"Yoga darf auf keinen Fall mit dem Schamanismus verwechselt oder in die
Ekstasetechniken eingereiht werden: das Ziel des klassischen Yoga bleibt die
vollkommene Autonomie, die Entase, wahrend die Definition des Schamanismus
in seinem verzweifelten Bemühen um die 'Verfassung eines Geistes', um den 'ekstatischen
Flug' liegt".
ROGER N. WALSH
hat in seinem Buch 'Der Geist des Schamanismus' den schamanischen
Bewusstseinszustand während der Reise¹) mit dem Geisteszustand des
Schizophrenen während einer Episode²) sowie mit den höheren
Bewusstseinszuständen verglichen, die während der buddhistischen
Vipassana-Meditation³) und des Yoga nach Pantanjali³) auftauchen (können).
Ich habe die nachstehende, äußerst aufschlussreiche Kartografie seinem Buch
entnommen und empfehle Dir, diese eingehend zu studieren.
Kartografie veränderter Bewusstseinszustände
in Schamanismus, Schizophrenie, Meditation und Yoga
Parameter |
Schamanismus¹) |
Schizophrenie²) |
Meditation³) |
Yoga³) |
Kontrolle – Fähigkeit, nach Belieben in den Zustand ein- und
auszusteigen |
Ja, gute
Kontrolle |
Äußerst
reduzierte Kontrolle; Unfähigkeit den Prozess zu stoppen oder das
Erleben zu steuern |
Ja |
Ja |
Kontrolle – Fähigkeit, den Inhalt des Erlebens zu steuern |
Teilweise
Kontrolle |
Nicht
gegeben |
Teilweise |
Extreme
Kontrolle bei manchen Samadhis |
Wahrnehmung des Umfeldes |
Abgeschwächt |
Wahrnehmung oft abgeschwächt oder verzerrt |
Verstärkt |
Strak
verringerte Sinnes- und Körperwahr-nehmungen |
Kommunikations-vermögen |
Manchmal
vorhanden |
Verringert; Kommunikation meist verzerrt |
Meist
vorhanden |
Nicht
vorhanden |
Konzentration |
Verstärkt |
Sehr
verringert |
Verstärkt fließend |
Sehr
verstärkt; fixiert |
Mentale Energie/Erregung |
Verstärkt |
Verstärkt; teilweise extreme Agitation |
Meist
verringert |
Stark
verringert |
Ruhe |
Verringert |
Verringert |
Meist
verstärkt |
Extrem
verstärkt; tiefer Frieden |
Emotion |
+
oder
-;
positiv oder negativ |
- -;
meist sehr negativ; oft verzerrt und unangemessen |
+
oder
-;
positiv oder negativ; bei Übung verstärkte Tendenz zum Positiven |
+ +;
hoch-
positiv; unaussprech-
liche Seligkeit |
Identität/Selbst-
gefühl |
Abgehobenes Selbstgefühl, kann nicht-physische ‚Seele’ sein |
Desintegration; Verschwimmen der Ich-Grenzen; Unfähigkeit sich selbst
von anderen zu unterscheiden |
Selbstgefühl zerlegt sich in etwas Wandelbar-Fließendes:
„Nicht-Selbst“ |
Transzendentes, sich veränderndes Selbst (purusha) |
Außerkörperliche
Erfahrungen |
Ja,
kontrollierte Ekstase |
Selten;
unkontrolliert |
Nein |
Nein,
Verlust des Körper-
Bewusstseins (Ekstase) |
Inhalt der Erlebnisse |
Organisierte, kohärente Abfolge von Bildern, bestimmt von der
schamanischen Kosmologie und dem Zweck der Reise |
Oft
desorganisiert und bruchstückhaft |
Zerlegung
komplexer Erfahrungen in ihre konstitutiven Reize; die Reize werden
weiter zerlegt zu einem kontinuierlichen Fluss |
einzelnes
Objekt (‚Samadhi mit Unterstützung’) oder reines Bewusstsein (‚Samadhi
ohne Unterstützung) |
Aus der vergleichenden Zusammenschau der
hier untersuchten
Bewusstseinszustände ergibt sich unzweifelhaft, dass es sich dabei um ganz
unterschiedliche Phänomene handelt.
Die
Bewusstseinsveränderungen, die im Schamanismus,
bei Schizophrenie, Yoga und
Meditation auftreten, sind demnach durch erhebliche Unterschiedlichkeiten
gekennzeichnet. Eine Gleichsetzung der hier behandelten
veränderten Bewusstseinszustände zeugt entweder von Ignoranz, oder sie
basiert auf Erwägungen, die darauf abstellen, die eigene
wissenschaftliche oder theologische Autorität und Monopolstellung zu schützen.
Wie dem auch sei, ich habe es für
erforderlich erachtet, mit dieser völlig unfundierten, diskriminierenden Mär
aufzuräumen.
Aus diesem Grunde habe ich diese Artikelserie geschrieben.
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