In der Artikelserie ‚Das Alter des Schamanismus’ habe ich versucht,
meine persönliche Theorie bezüglich des erstmaligen Auftauchens des
Phänomens abzuleiten. Um meine Überlegungen zu untermauern, habe ich nicht
nur relevante wissenschaftliche Erkenntnisse der Anthropologie und Biologie
gesammelt und präsentiert, sondern auch neuere archäologisch und
kunsthistorisch bedeutsame Funde, die in die selbe Richtung wiesen. Das mir zur
Verfügung stehende Material wurde vor dem Hintergrund meiner eigenen Vision
betreffend die prospektive ‚Geburtsstunde’ des Schamanismus wie ein Puzzle
geordnet und erörtert. Aus der sich immer mehr klärenden Vorstellung, habe
ich letztendlich den Schluss gezogen, dass die Anfänge des Schamanismus mit
sehr hoher Wahrscheinlichkeit in der Altsteinzeit anzusiedeln sind, und zwar
innerhalb eines Zeitrahmens, der etwa 800.000 bis 220.000 Jahre vor dem Heute
gelegen sein dürfte.
Lies dazu die Artikelserie ‚Das
Alter des Schamanismus – Teil 1 bis 5’ >>>
In
der gegenständlichen Serie wollen wir uns mit der globalen Ausbreitung des
Schamanismus beschäftigen. Dies ist ein ebenso schwieriges Unterfangen wie
die Konkretisierung seines prospektiven Alters. Um stimmige Ergebnisse zu
erlangen, müssen wir unserer Betrachtung andere Parameter zugrunde legen als
bei der Bestimmung seines Auftauchens. Das Augenmerk muss nun eher auf die
geografischen, geologischen und klimatischen Gegebenheiten in jenen frühen
Epochen gerichtet sein. Die Beantwortung unserer Fragen nach dem Wann und dem
Wie der Ausbreitung des Schamanismus in alle Welt, wird aber durch
revolutionäre Erkenntnisse ganz wesentlich erleichtert, die in den letzten 10
Jahren im Rahmen der Genforschung gemacht wurden.
Ich will hier mit den letztgenannten Erkenntnissen beginnen. Anschließend
werde ich versuchen, den Exodus unserer frühen Vorfahren aus Afrika und deren
lange dauernde Reise in alle Kontinente dieses Planeten nachzuvollziehen.
Da der Schamanismus zu jener frühen Zeit nach meiner Theorie bereits
existiert haben dürfte (siehe og. Artikelserie), muss seine globale
Verbreitung zeitgleich mit den frühen Migrationsbewegungen unserer Vorfahren
einhergegangen sein. Der Homo ergaster hat den afrikanischen Kontinent
schon kurz nach seinem Auftreten vor 1,7 Mio. Jahren verlassen und Teile Asiens
besiedelt. Aus ihm ist der Homo erectus hervorgegangen (Java Mensch,
Peking Mensch), der sich rasch über den Mittleren Osten, Russland, Indien,
den Fernen Osten und Südost-Asien verbreitet hat und für mich zum Ahnherrn
des Schamanismus wurde. Die Wanderungen des Homo sapiens begannen
demgegenüber vor etwa 160.000 Jahren in Afrika. Diese verliefen teilweise
äußerst dramatisch und dauerten in ihrer Gesamtheit viele Zehntausend Jahre.
Genanalyse und die Wurzeln der Menschheit
Durch die moderne Genanalyse sind wir heute in der Lage, sowohl den
Geburtsort, als auch die geografische Route jener ersten Migrationsbewegungen
unserer eigenen Spezies zurück zu verfolgen. Die Genetiker gelangten zur
sensationellen Erkenntnis, dass sich die Geburtsstätte des modernen Menschen
– des Homo Sapiens - in Afrika befunden hat. Dies untermauert
eindrucksvoll meine Theorie, wonach der Schamanismus in den Jäger- und
Sammlerkulturen der Altsteinzeit erblühte, welche über viele Jahrtausende
hinweg die weiten Steppen Afrikas durchwandert hatten.
Wenn ein Genetiker heute die Gene zweier beliebiger Menschen mittels der
modernen Genanalyse vergleicht, kann er erkennen, dass diese einen gemeinsamen
frühen Vorfahren haben, der aber - aller Wahrscheinlichkeit nach – außerhalb
Afrikas gelebt hat. Er kann überdies nachweisen, wo deren Vorfahren gelebt
haben, nachdem sie den Schwarzen Kontinent verlassen hatten. Dieser
sensationelle Nachweis wurde erst durch jene bahnbrechenden Erkenntnisse
möglich, welche die Genforschung in der letzten Dekade im Rahmen von
Feldstudien an lebenden Menschen aus allen Kontinenten gewonnen hat.
In den beiden nächsten Teilen dieser Serie werden wir uns mit jenen neuen
Erkenntnissen der Genanalyse eingehender beschäftigen. Diese bilden gemeinsam
mit geologischen, klimatischen und geografischen Einsichten den Schlüssel,
der uns die Tür zu längst vergangenen Zeiten öffnen wird. Wir werden den
ersten und zweiten Exodus unserer Vorfahren aus Schwarzafrika nachvollziehen
und anschließend jene sekundären Migrationsbewegungen des frühen Menschen
verfolgen, durch welche sich der Schamanismus innerhalb von Zehntausenden
Jahren in alle Kontinente dieses Planeten sukzessive ausgebreitet hat.
|